Grundlagen des Kinderspiels

LTgerüstDas Spiel kann für das Kind als die angemessenste Form einer Auseinandersetzung mit seiner Umwelt betrachtet werden. Es ist davon auszugehen, dass es einen wesentlichen Einfluss auf die Förderung seiner Entwicklung nimmt. Es gilt auch der Umkehrschluss, dass Kinder, deren Spielverhalten und –erfahrung nicht unterstützt oder sogar daran gehindert werden, in ihrer gesamten Entwicklung beeinträchtigt werden (Nickel & Schmidt-Denter, 1991, S. 137).

Spiel unterscheidet sich von anderen Tätigkeiten durch

  • größtenteils selbst gewählten Einstieg ins Spiel (intrinsische Motivation)
  • Entwicklung eigener Ideen (Fantasie)
  • Selbststeuerung (Selbstkontrolle) (Heimlich, 2001, S. 57)

Als bedeutsamste Bedingung für ein förderliches Spielverhalten gelten die atmosphärischen Voraussetzungen, die das Elternhaus bietet. Sie nehmen einen größeren Stellenwert als materielle Anregungen ein, wenn die Entwicklung des kindlichen Spielverhaltens geht. Wer das Spiel des Kindes unterstützt, fördert damit die schöpferische Kraft im Kind (Nickel & Schmidt-Denter, 1991, S. 141). Viel braucht es dazu nicht – „wertloses“ Material wie Kartons, Korken und weitere Alltagsgegenstände regen die Kinder zum kreativeren Umgang mit dem Material an, als bereits vorgefertigtes Spielzeug, das durch festgelegte Funktionen oft wenig Raum für Fantasie bietet. Ein bewusster Umgang mit vielfältigen Materialien und Spielmöglichkeiten sowie eine bewusste Beobachtung des spielenden Kindes von Eltern und PädagogInnen helfen, den Kindern gute Entwicklungsperspektiven zu eröffnen und psychischen Beeinträchtigungen bis hin zu Störungen vorzubeugen.

Spiel in seinen Formen und Funktionen

Nach Heckhausen (1963/1964) ist das Spiel eine zweckfreie Tätigkeit (Oerter, Montada, 2002, S. 231). Es wird im Allgemeinen durch eine typische Verlaufsform geprägt, in der ein Kind eine innere Spannung sucht, sie aufrecht erhalten möchte um sie kurze Zeit später durch Entspannung abzulösen. Ein Vorgang, den das Kind um Spiel mehrfach wiederholt und den Heckhausen deshalb als „Aktivierungszirkel“ bezeichnet (Nickel, Schmidt-Denter, 1991, S. 122).

Spielformen treten oft in einer Mischform auf und sind seltener in reiner Form zu beobachten. Eine Klassifikation ist nicht unproblematisch, bietet jedoch PädagogInnen die Möglichkeit, bestimmte Spielformen kindlicher Entwicklung zuzuordnen und so einen Überblick über die Spielfähigkeit und –entwicklung des Menschen zu erhalten (Renner, 2008, S. 101). Als Sozialformen des Spiels werden das Einzelspiel, Parallelspiel und das kooperative Spiel unterschieden.

Funktions- oder Tätigkeitsspiel / sensomotorisches Spiel

Den Begriff des Funktionsspiels prägte Charlotte Bühler. Piaget bezeichnet diese Spielform als Übungsspiel, Heimlich nennt es Explorationsspiel. Es gilt als erste erkennbare Spielform des Kindes. Dabei steht lustvolles Experimentieren mit Bewegungen und Gegenständen, welches das Kind ständig wiederholt, im Vordergrund. Eigenschaften von Gegenständen und physikalische Phänomene werden erprobt. Sensorische, motorische und kognitive Funktionen werden dabei ausgebildet und eingeübt (Renner, 2008, S. 104). Die Befriedigung erfährt das Kind in der Ausführung der Tätigkeit selbst.

Konstruktionsspiel

In seiner ersten Phase beschreibt das Konstruktions- oder Herstell-Spiel das zunächst beiläufige, später dann absichtliche Herstellen eines Werkes. Das Spiel ist auf ein Ergebnis, ein fertiges Produkt fokussiert. Das kann z.B, eine Zeichnung sein, ein Bauwerk, eine Knetfigur (Renner, 2008, S. 135). Die Zufriedenheit schöpft das Kind aus dem Gelingen und Erreichen seines Ziels. Dazu zählen auch Spiele wie Verstecken oder Fangen, bei denen das Erreichen eines Ziels gewünscht wird und den Reiz des Spiels ausmacht.

Rollenspiel

Im Rollen- bzw. Fiktionsspiel imitieren die Kinder Verhaltensweisen von Menschen und Rollen. Dazu zählen Eltern, Berufe, Filmfiguren u.a. Im Rollenspiel spielen die Kinder „als ob“ und setzen sich dabei mit ihren sozialen Erfahrungen auseinander. Hier können soziale Rollen eingeübt und vorweg genommen werden (Renner, 2008, S. 119).

Im Rahmen des Rollen- und Fiktionsspiels existieren weitere Begriffe und differenzierte Einordnungen: Symbolspiel (Piaget, 1969), Illusionsspiel (Bühler, 1928) und Fantasiespiel (Heimlich, 2001). Alle Bezeichnungen haben u.a. zum Inhalt, dass das Kind konkrete Erfahrungen und Verhaltensweisen in symbolhaften Darstellungen und Handlungen überträgt. Es stellt sie zum Schein dar (Renner, 2008, S. 109). Seine Fähigkeiten zur Empathie und soziale Kompetenzen werden dabei gefördert.

Regelspiel

Spielform, bei der die Einhaltung von Regeln zur Entstehung und Aufrechterhaltung wichtig sind und bestimmte Erwartungen und an das Verhalten sowie feste Vereinbarungen geknüpft sind (Renner, 2008, S. 130). Dabei können die Regeln vorgegeben oder selbst ausgehandelt werden. Das Spiel ist meist an einem Ergebnis orientiert und muss nicht zwangsläufig Wettbewerb provozieren. Es schult strategisches Denken sowie den Umgang mit Misserfolgen.

Rezeptionsspiel

Der Begriff für diese Spielform wurde von Charlotte Bühler (1928) geprägt. Sie versammelt darunter die passiven Formen des Spiels, die H. Hetzer auch als „aufnehmende Spiele“ bezeichnet. Damit ist das Anschauen von Bildern gemeint, das Zuschauen bei Theaterstücken, Fernsehen und Kino, wenn jemand etwas vormacht, vorzeichnet oder baut, das Zuhören bei Geschichten, die vorgelesen werden oder Musik (Renner, 2008, S. 123). Dabei findet eine emotionale und kognitive Auseinandersetzung mit dem Gehörten/Gesehenen statt.

Literatur

Barrett, P., Webster, H., Turner, C. (2003): FREUNDE für Kinder. Trainingsprogramm zur Prävention von Angst und Depression. Gruppenleitermanual. Deutsche Bearb. C.A. Essau u. J. Conradt. München: Reinhardt.

Hartung, J. (2008): Förderung der psychischen Widerstandskräfte (Resilienz) von Kindern und Jugendlichen. In: P. Bünder, L. Schmitz, D. Krumpholz (Hrgs.), Neuere Konzepte und Praxis systemischer Beratung. (S. 139-147). Berlin: Frank & Timme.

Heimlich, Ulrich (2001): Einführung in die Spielpädagogik. Eine Orientierungshilfe für sozial-, schul- und heilpädagogische Arbeitsfelder (2. überarb. u. erw. Aufl.). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Klein-Heßling, J. & Lohaus, A. (2000):Stresspräventionstraining für Kinder im Grundschulalter (2. erw. u. aktual. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.

Nickel, H. & Schmidt-Denter, U. (1991): Vom Kleinkind zum Schulkind. (4. Aufl.). München: Reinhardt.

Oerter, R. & Montada, L. (Hrgs.). (2002): Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz PVU.

Renner, M. (2008): Spieltheorie und Spielpraxis (3., neu bearb. Aufl.). Freiburg: Lambertus.

Weiß, H. (2011): So früh wie möglich – Resilienz in der interdisziplinären Frühförderung. In: M. Zander (Hrsg.), Handbuch Resilienzförderung (S. 330-349). Wiesbaden: VS-Verlag.

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